Wer erleidet eine existenzielle Notlage? Der Millionär, der absteigt? Jemand, der eine schwere seltene Erkrankung hat, die vom Existenzminimum und Krankenversicherungsleistungen nicht gedeckt ist? Und auch noch eine schwere seltene Komplikation vorliegt, die noch in Forschung ist, wo Untersuchungsmethoden nur international erhältlich sind und Therapien, off label use auszuprobieren sind? Bewirkt eine Seltene, genetische Erkrankung eine existenzielle Notlage, dergestalt, dass Patientenakten eines verstorbenen Angehörigen in direkter Linie nach § 630g BGB herausgegeben werden müssen?
Wieso eine existenzielle Notlage rechtlich wichtig sein kann?
Wie wird eine existenzielle Notlage bis dato bewertet?
Verletzte Rechte und Entscheidungen, die die besondere Lage von Seltene Erkrankungen würdigen.
Auch Fachstudien bestätigen: Vulnerabilität der Betroffenen in Bezug auf die die gesundheitliche Versorgung und die Lebenshaltungskosten.
Was ist eine schwere Komplikation?
Wieso eine existenzielle Notlage rechtlich wichtig sein kann?
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Wie wird eine existenzielle Notlage bis dato bewertet?
Existenzielle Nöte richten sich nach den Lebensumständen, Existenzsicherungsleistungen alleine bewirken allerdings keine soziale Notlage, sondern fangen diese ab (BSG Urteil v. 21.09.2017 – B 8 SO 5/16 R).
Leib, Leben, Gesundheit sind besonders bedeutsame existentielle Rechtsgüter (SG Landshut, Beschluss v. 12.05.2020 – S 5 SO 31/20 ER).
Das erbrechtlich befasste KG hatte erklärt, dass aus der gesundheitlichen Situation keine existenzielle finanzielle Notlage bewirkt. Dies ist falsch, denn aufgrund Seltener Erkrankung ist hier das Existenzminimum und die gesundheitlichen Versorgung unterdeckt. Die Mehrbedarfe und gesundheitlichen Leistungen fallen jedoch jetzt schon dauerhaft an und müssen irgendwie erbracht werden, entweder durch Hungern oder Aufschieben der Versorgung oder Einsparen- das hat mittelfristig gravierende negative Folgen.
Am SG gestaltet sich die Rechtsauffassung derart, dass Mehrbedarfe ja beantragt werden können. Bis diese allerdings durchgesetzt sind, das gleiche gilt auch für die Beantragung von Krankenkassenleistungen, vergehen durch die Instanzen durchschnittlich 7 Jahre. Solange müssen die Leistungen vorfinanziert werden oder finden nicht statt. Eilverfahren werden sehr restriktiv gehandhabt, sie finden nur bei Gefahr des Lebens statt, dass bei schweren chronischen Erkrankungen, aber mittelfristig die Gefahr starker Schäden besteht, wird übersehen.
Das Existenzminimum muss aber sofort zur Verfügung stehen, was es hier nicht tut. Ausweislich BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09:
LS 1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art.20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.
LS 2. Dieses Grundrecht aus Art.1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art.20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art.1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden.
Teilweise musste auch um den Zugriff auf Patientenakten des Erblassers gestritten werden, obwohl es ja hier mit § 630g BGB eine positive Norm gibt. Gerade die private Krankenversicherung des Erblassers verweigert die Bekanntgabe der Adressen der Behandler, so dass auch die Alleinerbin verklagt wurde. Hier wurde bislang nur am LG Berlin, als Beschwerdegericht durchgedrungen, die Gerichte anderer Bundesländer weigerten sich die Begründung Seltene, genetische Erkrankung zur Kenntnis zu nehmen- da es hier nur eingegrenzt Forschung gibt, sind interfamiliäre Verläufe wichtig, um Aufschluss zu erlangen und die außervertraglichen Anforderungen für eigene Therapien bei den Krankenkassen zu begründen und Therapieansätze zu entwickeln.
besondereLage
Verletzte Rechte und Entscheidungen, die die besondere Lage von Seltene Erkrankungen würdigen.
Im Grunde muss das Systemversagen angemessen berücksichtigt werden. Seltenen Erkrankungen, für die es nur internationale Leitlinien oder nur Studien gibt, werden de facto von den Leistungen der Gesetzlichen Krankenkasse exkludiert. Dies betrifft:
Ausschluss von nötigen Untersuchungen und Diagnostik,
Ausschluss von nötigen Behandlungen und Therapien,
Ausschluss von nötiger Medikation.
Rechtsverletzungen wider Grundgesetz und UN-Behindertenkonvention:
die Grundrechte,
das Recht auf Menschenwürde (Art. 1 GG),
allgemeiner Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG),
Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG),
die UN-Behindertenkonvention,
Achtung, Nicht-Diskriminierung, Teilhabe, etc. (Art. 3),
Zugänglichkeit, Barrierefreiheit zur Justiz (Sehhilfen u.A., Art. 13),
Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung (Art. 25),
Diskriminierungsverbot im SGB, SGB II, SGB V,
§§ 1, 33c SGB I, § 19a SGB VI.
Und die Massgabe die besonderen Belange behinderter Menschen zu berücksichtigen (§ 2a SGB V).
Der Besonderheit der Situation von Seltenen Erkrankungen trägt die bisherige Rechtssprechung im Sozialrecht Rechnung: bei Seltenen Erkrankungen sind alle Mittel zu nutzen, die einen Behandlungserfolg nach sich ziehen können. Hier gelten ganz andere Voraussetzungen als bei gut erforschten Volkskrankheiten.
Auch die Judikative verweist darauf, dass die angemessene Arzneimittelversorgung von Kindern und erwachsenen Patienten mit seltenen Erkrankungen in der medizinischen und pharmakologischen Wissenschaft seit längerer Zeit generell als ungelöstes Problem angesehen (BSG, Urteil vom 19. 10. 2004 – B 1 KR 27/02 R lexetius.com/2004, 3714).
Es ist jedoch auch ein juristisches Problem, denn die Betroffenen müssen idR ein Verfahren durch die Instanzen ziehen. Wann sind die o.g. Rechte verletzt nach 4 Jahre Wartens? Zu berücksichtigen ist, dass auch erwartbar mittelfristige eintretende schwere Verläufe während des Wartens auf die juristische Entscheidung eigentlich einen Eilbedarf rechtfertigen, wozu in der Praxis die Hürden aber zu hoch sind. Im Grundsatz bedürfen seltene Erkrankungen einer eigenen Kammer und eines eigenen Eilverfahrens.
Jedoch verweisen die sozialrechtlichen Urteile auf die grundsätzlich andere Bewertung:
Ungeeignet die übliche Bewertung, wenn es – wie hier – um ein extrem seltenes, der systematischen Erforschung nicht unterliegendes Krankheitsbild gehe (BSG, Urteil vom 19. 10. 2004 – B 1 KR 27/02 R lexetius.com/2004,3714).
Die Seltenheit einer Krankheit dürfe nicht zur Folge haben, neue Therapieformen – insbesondere beim Fehlen von Behandlungsalternativen – von der Leistungspflicht der Krankenkassen gänzlich auszunehmen. Defizite in der Arzneimittelversorgung seien kein Grund, den Versicherten erwiesenermaßen wirksame Therapien vorzuenthalten (ebd.).
Dergleichen Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 14.06.2006 – L 5 KR 49/05, Fundstelle openJur 2011, 93857: Danach ist ein Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung ausnahmsweise dann verordnungsfähig, wenn eine schwerwiegende, d. h. lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung behandelt werden soll.
Auch BVerfGE 115, 25 – Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung („Nikolausbeschluss”, Entscheidung vom 06.12.2005 des Bundesverfassungsgericht) In der am 6. Dezember 2005 ergangenen Entscheidung (daher „Nikolausbeschluss“) ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG , dass bei lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode nicht auszuschließen ist , wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf besteht. „Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung und seiner fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung im Einzelfall sind darüber hinaus auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Leider ist diese Rechtslage an den Untergerichten oft nicht erhältlich und die Richterschaft scheitert schon am Erfassen des Sachverhalts „Seltene Erkrankung“- trotz der der eindeutigen internationalen, europäischen, nationalen Fachstudien zu Seltenen Erkrankungen und vorliegender Erkrankung.
Fachstudien
Auch Fachstudien bestätigen: Vulnerabilität der Betroffenen in Bezug auf die die gesundheitliche Versorgung und die Lebenshaltungskosten.
Schon die physische Existenz (also Leistungen für Nahrungsmittel und Getränke, Bekleidung, Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung sowie Gesundheit) sind nicht gesichert. Dazu treten besondere Lebensumstände, nämlich hier eine schwere Erkrankung, wegen deren Seltenheit diese außerhalb des üblichen Versorgungsleistungen durch die Medizin und Krankenkassen stellt (nur internationale Leitlinien, Studien, separate Bewilligung und Klageverfahren gegen Kassen nötig. Internationale, europäische und nationale Studien bestätigen dies bei Seltenen Erkrankungen und vorliegende Erkrankung der Fall ist. Hinzu kommt, dass sich die Betroffenen selber informieren und zu ExpertInnen reisen müssen, das sich ÄrztInnen idR gar nicht auskennen. Diese Mehrbedarfe im Existenzminimum und zur Behandlung der Erkrankung, sowie Reisekosten fallen jetzt schon an. Diese Mehrbedarfe im Existenzminimum und zur Behandlung der Erkrankung, sowie Reisekosten fallen jetzt schon an, dafür muss anderes Existenzielles eingespart werden, dringend Benötigtes und wichtige arztseits empfohlene Massnahmen können nicht finanziert werden.
(Studien unter http://www.gegenmacht.net/diskriminierung-unbekannt-seltene-krankheiten-multimorbitaet/).
The subsistence level is not covered, many health costs have to be paid privately, in addition transportation and travel costs to see specialized doctors, and there are other costs, like home modifications, extra nursing costs (https://cripples-unite.de/outcasts-in-german-society-disabling-life-threatening-and-economic-burden-of-rare-diseases-not-recognized/).
Komplikation
Was ist eine schwere Komplikation?
Aktuell liegt eine schwere noch in der Forschung begriffene mit komplexen Wirkmechanismen versehene Komplikation vor, die mit fortschreitendem Gesichtsfeldausfall, interkraniellen Verändeungen und Niereninsuffizienz ausgelöst von der Grunderkrankung, einhergeht. Die bisherigen Standardtherapien hilft nicht.
Dies sind schwere lebensverändernde Komplikationen. Es liegt also eine seltene Grunderkrankung mit seltener Komorbidität und schwerem Verlauf vor.
Daher muss jede Möglichkeit ergriffen werden eine umfassende Abklärung und die sich heraus ergebenden Befunde zu nutzen, dann daraus kann erst eine Therapie, die unzweifelhaft individuell ist, erfolgen.
Nach der Auseinandersetzung mit bisher erhaltenen Patientenakten des Erblassers, wurde in einem Vergleich aller Befunde nach medizinischem Gebieten und nach Lebensalter visualisiert. Es lassen sich deutlich die Zusammenhänge in den abgebildeten Bereichen zwischen Tochter und Vater erkennen und auch das breite Spektrum der genetischen Bindegewebserkrankung.
Bei Seltenen Erkrankungen sind immer die gesamten Befunde zu beachten, genetische Bindegewebserkrankungen haben ein breites Spektrum: muskoloskeletal, spinal-neurological, neuro-muskulär, kardiovaskulär, Dysautonomie, Urologie, Organ Dysfkt, Gastro intestinal, immunologisch, Psyche.
Eine seltene, genetische, schwere, systemische, multisystemische Erkrankung , Multimorbidität bedeutet grundsätzlich: hohe Krankheitslast und viele Komorbiditäten, sowie Lebensbedrohlichkeit, schlechte Versorgungslage, rare ärztliche Expertise, wirtschaftliche Vulnerabilität. Seltene Erkrankungen sind chronisch, progressiv, degenerierend, verursachen Behinderungen und sind regelmässig lebensbedrohlich. Seltene Erkrankungen, darunter das Ehlers-Danlos Syndrom, weisen eine schlechte Versorgungslage auf, ärztliche Expertise ist ebenso rar, hohe Krankheitslast und viele Komorbiditäten. Die Betroffenen haben erhebliche Kosten, die nicht durch die Existenzsicherung und die Krankenkasse aufgefangen werden.
Eine existenzielle Notlage ist damit gegeben und kompensiert die Belastungen aus Seltener Krankheit, Multimorbidität und schweren, seltenen Komplikationen. Wegen des Gerechtigkeitsprinzips fordert auch der Deutsche Ethikrat, eine angemessene Kompensation.